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„Die Tatsache, dass wir homosexuell sind, nimmt in unserem Leben und Denken einen sehr kleinen Teil ein“
Lesedauer: 6 minutesMinutenUnser Interview hat ein Ziel: Normalität neu zu definieren – Teil 2 vom Start in die Schwangerschaft, die Frage nach der Vaterrolle, Beziehungsmodelle und einer unaufgeregten Normalität in der Gesellschaft.
Anna und Hanna mit ihrer zauberhaften vier Monate jungen Tochter, sind Berliner Kundinnen der Windelei. Sie lassen uns in ihre lesbische Beziehung hineinschnuppern. Dass unsere Fragen notwendigerweise privat sind, liegt auf der Hand. Aber es gibt ja eben eine politische Dimension des Privaten und um die geht es. So beschrieb es Anna noch bevor sie die Fragen beantwortete.
Teil 1 erzählte vom Beginn ihrer lesbischen Liebe, der Schwangerschaft und viele gesellschaftliche Hindernisse, die heterosexuelle Paare nie überwinden müssen. Nun gehen wir weiter in der Geschichte der nun bald drei weiblichen Familienmitglieder:
Windelei: Wie war dann Deine Schwangerschaft, Hanna?
Hanna: Ich habe zwar vier Schwangerschaftstests gemacht, weil ich es erst gar nicht glauben konnte, aber dann war der Schalter umgelegt, und es war für mich das selbstverständlichste der Welt, schwanger zu sein. Die Schwangerschaft war dann ganz normal mit Übelkeit am Anfang und Kurzatmigkeit ab Woche 5 – aber auch dem besten Schlaf meines Lebens.
Und es war auch völlig unwichtig, wie ich schwanger geworden war.
Windelei: Ward ihr auch auf Zwillinge vorbereitet? Die Wahrscheinlichkeit bei künstlicher Befruchtung steigt doch?
Hanna: Vor eineiigen Zwillingen ist man ja nie „sicher“. Aber die Geschichte der Kinderwunschärztin bei unserem ersten Infoabend, in der eine Frau sich hat zwei Eier zurückgeben lassen, die sich dann beide nochmal geteilt haben, so dass sie letztlich Vierlinge bekam, hat uns sehr beeindruckt.
Die Reproduktionsmedizin ist mittlerweile so gut, dass in der Regel nur ein Ei zurückgegeben wird. Ich hatte Respekt davor Zwillinge zu bekommen, so dass ich auch auf keinen Fall zwei befruchtete Eizellen auf einmal bekommen wollte. Letztendlich war es dann aber so, dass die Qualität der Eizellen nicht so gut war und die Ärztin empfahl zwei einzusetzen. Weil ich ihr vertraut habe, haben wir das auch so gemacht. Erst beim Verlassen der Praxis wurde mir heiß. Aber sie hatte recht, es hat nur ein Baby angebissen.
Windelei: Wow! Wie habt ihr dann entbunden?
Hanna: Anna war bei der Geburt dabei. Bevor ich schwanger geworden war, hatte ich mir immer vorgestellt, ich gehe ins Geburtshaus und danach sofort nach Hause.
Wir hatten dann eine Beleghebamme und waren sechs Tage im Auguste-Viktoria-Krankenhaus, zur Einleitung und danach noch drei zur Nachsorge – und es war einfach perfekt für uns. Wir hatten ein Familienzimmer, in dem wir zwei Tage bei Vollpension auf die Wehen gewartet haben. Als es dann endlich losging, waren wir schon total zu Hause in der Klinik, und konnten die erste Phase zu zweit für uns machen, wie wir es auch bei uns daheim gemacht hätten; mit dem Vorteil, dass es nur drei Meter zum Kreißsaal waren.
Windelei: Wie haben Freunde und Familie auf eure Schwangerschaft und euer süßes Baby reagiert?
Hanna: In unserer gesellschaftlichen Blase haben sich alle einfach nur gefreut. Viele waren sehr neugierig, wie wir das Kind gezeugt haben, und ausnahmslos alle sind schockiert, dass die Gleichstellung der Ehe nichts am Adoptionsrecht geändert hat. Wir erleben sehr viel Mitgefühl, dass Anna jetzt durch diese staatliche Diskriminierung der Stiefkindadoption muss. Insgesamt, glaube ich, sind wir nicht anders behandelt worden, als ein heterosexuelles Paar, das ein Kind bekommt.
Windelei: Was hat die Geburt mit euch als Paar gemacht?
Hanna: Auch wenn die letzten drei Stunden der Geburt fies und anstrengend waren, hat uns dieses Erlebnis nochmal ganz neu als Paar zusammengebracht. Es hat ein paar Tage gebraucht, bis wir verstanden haben, dass dieses winzige Wesen wirklich zu uns gehört, und ich war auch ganz schön erschüttert, was da mit mir passiert war. Aber dann kam nach zwei drei Tagen der Liebeseinschuss, und wir sind sehr glücklich durch die Wochenbettzeit gesegelt.
Windelei: Glaubt ihr, dass die Vaterrolle für eure Tochter fehlt? Was haltet ihr selber davon?
Anna: Ich bin in keiner klassischen Familienkonstellation aufgewachsen, sondern mit Voll-, Halb-, Zieh- und Stiefgeschwistern und dazugehörigen Müttern, Vätern, Onkeln, Tanten und was man sich sonst noch so vorstellen mag. Mein Vater füllte die Elternrolle nur bedingt aus, obwohl er dafür theoretisch zur Verfügung gestanden hätte. Aufgrund dieser Erfahrung finde ich, dass es eher darauf ankommt Menschen im Umfeld des Kindes zu haben, die sich verantwortlich fühlen und ihm Halt geben. Dazu kommt, dass der klassische Vater, als abwesender Ernährer der Familie, meiner Meinung nach, eine überholte Rolle ist.
Windelei: Du würdest also sagen, dass der Begriff Vater bzw. Mann neu definiert werden sollte?
Anna: Ganz allgemein möchte ich sagen, dass insbesondere die Frage danach, was ein Mann ist und sein sollte, hochaktuell ist und natürlich in der Kindererziehung eine Rolle spielt. Wir versuchen uns dem zu nähern, durch Gespräche im Freundeskreis, Literatur zum Thema und den Kontakt mit solchen Männern, von denen wir uns mehr für die Gesellschaft wünschen.
Ich persönlich stehe der Zuordnung bestimmter Eigenschaften zum weiblichen oder männlichen Geschlecht eher skeptisch gegenüber. Das hat biografische Gründe. Ich habe viele Jahre meiner Kindheit quasi als kleiner Junge verbracht. Damit meine ich nicht, dass ich mich als Junge definiert oder meine Familie mich so bezeichnet hätte. Ich war immer Anna. Aber ich habe eben Hosen getragen, hatte kurze Haare, bin auf Bäume geklettert, Skateboard gefahren, habe mich mit Freunden gerauft, viel geflucht und wurde regelmäßig aufs Männerklo geschickt. Das hat erst in der Pubertät zu Konflikten geführt, denn plötzlich wurde von mir verlangt, mich wie eine Frau zu kleiden und zu verhalten. Auch wenn ich diesen Konflikt für mich mittlerweile größtenteils gelöst habe, sorgt mein Erscheinungsbild immer noch regelmäßig für Irritationen. Mir erscheint das unnötig, denn die Irritation entsteht ja nur, weil die Vorstellung von dem, was eine Frau ist, so eng gesteckt ist. Was ich damit sagen will, die Eigenschaften, die einen guten Vater ausmachen, sind vermutlich einfach die Eigenschaften, die einen zu guten Eltern machen, ob Mann oder Frau.
Windelei: Sonja lebt als Alleinerziehende und hat ihren Sohn aus einer Co-Elternschaft bekommen, Franzi lebt in wilder Ehe mit Sohn und Mann zusammen. Wir gehören also auch nicht zur Normfamilie. Wie begegnet ihr dem Vorwurf, keiner klassischen verheirateten Familie anzugehören. Oder dass ihr eurer Tochter ein Beziehungsmodell vorlebt, dem sie dann selber folgt, weil sie es nicht anders kennt?
Hanna: Tja. Ich kann darin keinen Vorwurf erkennen. Ich mag ja mein Beziehungsmodell, da fände ich es total OK, wenn mein Kind das auch für sich wählt. Auch wenn ich das für eher unwahrscheinlich halte. Aber vielleicht sollten wir eh aufhören, von Modellen zu sprechen. Wir haben eben Beziehungen, und versuchen sie so zu leben, dass sie funktionieren. Ich habe kein Beziehungsmodell gewählt, ich habe mich verliebt, und lebe das aus. Ich kann darin kein schlechtes Vorbild für mein Kind erkennen.
Anna: Dieser Logik nach wären Hanna und ich nicht zusammen, sondern in vollkommen anderen, aber in jedem Fall heterosexuellen Konstellationen. Im übrigen muss man ja sagen, dass wir ein extrem klassisches Familienbild abgeben, mit der einen Ausnahme, dass wir beide Frauen sind. Ansonsten ist es bei uns so geregelt, wie bei vielen heterosexuellen Familien nicht. Wir haben erst geheiratet, dann ein Kind gezeugt. Wir leben zusammen, teilen uns ein Konto und essen sonntags ein Ei. Wie ich schon sagte, wäre ich nicht unbedingt auf die Idee gekommen zu heiraten, wenn die gesetzliche Lage es nicht notwendig gemacht hätte. Insofern wurden lesbische Paare mit Familienwunsch, zumindest in dieser Hinsicht, zu einer traditionellen Norm verpflichtet, die heterosexuelle Familien schon längst nicht mehr erfüllen müssen.
Windelei: Wir sind froh euch auf unserer Homepage als Familie abbilden zu können, die uns ein kurzes Kundenstatement gaben. Inwiefern fehlt euch dieser Blick auf diverse Familien in unserer Gesellschaft? Was kann jedeR Einzelne, aber auch im Großen machen, um Diversität als Normalität zu begreifen?
Hanna: Ich freue mich, dass beispielsweise in Fernsehserien homosexuelle Liebe ziemlich selbstverständlich vorkommt, und oft auch schon ohne problematisiert zu werden. Schaut man allerdings in Broschüren, die man in Krankenhäusern oder von anderen offiziellen Stellen zu Kinderpflege bekommt, oder in „Erziehungsratgebern“ kommt etwas anderes als die heteronormative Familie so gut wie nicht vor. Auch Kinderbücher mit gleichgeschlechtlichen Elternpaaren sind eher selten.
Mehr unaufgeregte Sichtbarkeit wäre aber wichtig, um andere Familienkonstellationen nicht mehr als das „Andere“ begreifen zu müssen. Dann müsste es auch nicht mehr als bedrohlich wahrgenommen werden. Dazu sei erwähnt, dass es mir sowieso ein Rätsel ist, wieso meine Liebe die Ehe von irgendjemand anderem gefährden sollte. Ohne Andersartigkeit könnten wir uns einfach unsere Leben leben lassen. Denn es ist ja so: Die Tatsache, dass wir homosexuell sind, nimmt in unserem Leben und Denken einen sehr kleinen Teil ein, und ist für unser Zusammenleben ziemlich unbedeutend. Ich wünsche mir, dass wir dahinkommen, dass sie das auch für die öffentliche Wahrnehmung ist.
Anna: Ich denke, dass Dialog unheimlich wichtig ist. Denn im direkten Kontakt lässt sich häufig feststellen, dass die Gemeinsamkeiten eigentlich die Differenzen überwiegen. Insofern möchte ich dazu ermuntern, ruhig einmal eine Frage zu stellen. Allerdings muss klar sein, dass das Gegenüber nicht zu einer Antwort verpflichtet ist. Ich habe in meinem Leben oft erlebt, dass von mir erwartet wurde, mich zu erklären, weil ich ja die „Andere“ war. Ein solcher Anspruch auf Erklärung besteht nie! Empathie für das Gegenüber, wie man sie in jedes Gespräch miteinbringen sollte, ist also auch hier angemessen.